Wir fahren durch eine tiefschwarze Nacht. Der Wind pfeift in Böen von bis zu 30 Knoten durch das knarzende Rigg und wir haben uns bei starken Regengüssen unter unserem Cockpitzelt verkrochen. Nachdem uns ein „Kuhsturm“ eiskalt erwischt hat, haben wir die Segel im letzten Moment bergen können, sodass nun der Motor für den nötigen Vortrieb sorgt.
Inmitten des Skagerrak, wird die Dunkelheit um uns herum regelmäßig von Blitzen hell erleuchtet. Das Donnergrollen, zunächst noch in sicherer Entfernung, bahnt sich seinen Weg zu uns. Philippe sitzt mit der Stirnlampe hinter dem Steuerrad, während ich den Kurs überwache und per Radar versuche, uns von den Gewitterzellen fernzuhalten. Zeitweise schalten wir alle elektrischen Geräte aus, da wir uns einbilden, sie so vor Schäden schützen zu können. Unser Glück: Jannis schläft seelenruhig in seinem Bettchen und bekommt von dem ganzen Spuk nichts mit. Nass, durchgefroren und ein wenig vor Angst bibbernd, hätte ich Einiges gegeben, um jetzt mit unserem Sohnemann tauschen zu können. Eins ist klar, so hatten wir uns die Überfahrt von Göteborg nach Kristiansand sicher nicht vorgestellt.
Auch wenn es bis dahin die denkbar entspannteste Überfahrt war, gerät man schnell ins Grübeln, ob die Wind- und Wetterverhältnisse von uns sorgsam genug für diesen Sprung ausgewählt wurden.
Nachdem wir die Gewitterzellen hinter uns gelassen haben und die restliche Nacht einigermaßen ruhig verläuft, freuen wir uns am Morgen umso mehr, die Küste Norwegens entdecken zu dürfen. Wir laufen in den engen inneren Hafen von Kristiansand ein und werden gleich von unseren neuen Bootsnachbarn, einer dreiköpfige norwegische Familie samt einjährigem Sohn, freudestrahlend begrüßt. In den nächsten Tagen verbringen wir viel gemeinsame Zeit mit ihnen, nutzen einen Regentag um zusammen in die Kletterhalle zu gehen und freuen uns endlich mal wieder Kontakt zu einer anderen Familie zu haben. Dass die Kletterhalle ein echter Babygeheimtipp ist, hätte ich vorher nicht gedacht, aber die vielen bunten Griffe an der weißen Kletterwand und die gepolsterten Matten für das Bouldern sind perfekt, um Jannis staunen zu lassen. Er übt schon fleißig, damit er zu Hause mit Papa bouldern gehen kann.
Doch wir sind natürlich nicht für Kristiansand nach Norwegen gesegelt, sondern für die Erlebnisse in der einzigartigen Landschaft aus Fjorden und Schären. Und somit verlassen wir Kristiansand nach drei Tagen und laufen unsere erste norwegische Schäre an. Passenderweise heißt der kleine Steg an dem wir hier festmachen „Tyskerbrygga“, also „Deutscher Steg“. Das kommt nicht von ungefähr, denn die Insel Helgøya bei Ny-Hellersund war der Standort einer deutschen Befestigungsanlage im 2. Weltkrieg.
Glücklicherweise kam die Anlage nie zum Einsatz, bietet heute dafür wunderschöne Ausblicke auf die umliegenden Schären und Einiges zu entdecken. Die Bucht auf der Rückseite der Schäre wollen wir unbedingt auf unserem Weg zurück noch einmal anlaufen.
Von anderen Seglern hatten wir den Tipp bekommen, dass auf Sønner Vassøy ein guter Spot ist, um direkt am Fels längsseits festzumachen. Das wollen wir natürlich testen. Wetter- und Windvorhersage passen, um unsere Lotte behutsam an den Fels zu bringen. Für mich persönlich ist es eines der Highlights, vom Fels geschützt im Lee, direkt in einer traumhaften Bucht mit super klarem Wasser und Strand festzumachen. Wir verbringen einen super sonnigen und tollen Nachmittag am Strand und lassen die Seele baumeln. Norwegen ist einfach ein Traumziel!
Während unserer Reise haben wir eine geheime Verlustliste begonnen. Nach ein paar Fendern, unserem wunderbaren Grill und vielem mehr, kommt nach diesem Tag auch noch unsere Solardusche hinzu. Das war’s dann wohl mit Duschen an Bord. Aber wie ist das: Wenn alle schlecht riechen, fällt’s nicht so auf.
In unserer ursprünglichen Planung hatten wir drei Wochen für Norwegen eingeplant. Was sich zunächst nach einer stressigen Zeit anhört, ist in Realität genau das Gegenteil. Wir bewegen uns ab Kristiansand in circa fünf Seemeilenschritten vorwärts. Unsere Tage sind gespickt von entspannten Morgenden, dem Aufindig machen von geeigneten Angelspots, dem Angeln selbst, dem Anlegen/Ankern an der nächsten Traumschäre, Wandern am Nachmittag, dem Genießen der Aussichten und das in Endlosschleife.
Böse Zungen behaupteten noch vor Kurzem, Philippe sei der neue 007. Gemeint war damit „0 Bites, 0 Fish, 7 Hours“ fischen. Das hat sich hier in Norwegen definitiv geändert. Ich freue mich riesig über jeden Dorsch oder Pollack und kriege die Krise, wenn schon wieder fünf Makrelen gleichzeitig an der Angel hängen. Unser Speiseplan ist seitdem durchaus reich an Omega 3 Fetten. Nicht, dass ihr mich falsch versteht, Makrelen sind lecker, aber nach der gefühlt Zwanzigsten hat man einfach Lust auf etwas Anderes.
Nachdem wir nach einer wunderschönen Woche entspannt den Hafen von Mandal anlaufen, rekapitulieren wir am Abend unsere bisherigen Ziele und Wünsche für die weitere Reiseplanung. Wir beide wollen noch den Lysefjord sehen, also mindestens bis Stavanger segeln. Da dieser Wunsch allerdings mit unserer Zeitplanung kolidiert, beschließen wir um 22.00 Uhr abends spontan unsere Lotte gegen ein Gefährt auf vier Rädern zu tauschen. Ein Roadtrip in das knapp vier Stunden entfernte Stavanger erscheint gegenüber dem dreitägigen Segeln zeitlich die bessere Alternative. Obwohl damit einige Kompromisse einhergehen, freunden wir uns schnell mit dem Gedanken an und packen am nächsten Tag unsere 1370 Sachen, um uns auf den Weg zu machen. Dem Upgrade sei Dank cruisen wir mit einem SUV über Kap Lindesnes und entlang der Küstenstraße RV44 unserem Ziel Stavanger entgegen. Einziger Wehrmutstropfen: Jannis hasst den Autositz und so brauchen wir für vier Stunden reine Fahrtzeit, den gesamten Tag.
Bereuen sollen wir den Trip aber auf keinen Fall. Das Land aus anderer Perspektive zu sehen ist sehr spannend. Anstatt Schären, sehen wir hohe Berge und tiefe Täler mit Wasser hinter jeder Ecke. Ob ein Bach, ein Fluss, ein wunderschöner See oder ein Fjord. Kein Wunder, dass es bei 4 Millionen Einwohnern, 2 Millionen Boote gibt.
Stavanger als Stadt macht einen gemütlichen Eindruck, der nahe gelegene Strand lockt uns an und wir werden mit der Sichtung von Delfinen belohnt.
Highlight ist aber natürlich die Wanderung am Lysefjord. Etwas erschlagen von den Touristenmassen, zaubert Philippe nach einigen Kilometern eine Alternativroute hervor. Typisch, denke ich mir im Stillen und muss mein vorschnelles Urteil sofort revidieren. Wir krakseln den Berg hinauf und werden mit einem OHHH, AHHH- Moment belohnt. Der Fjord erstreckt sich unter uns und wir können einen Blick auf den berühmten Preikestolen erhaschen. Auf das Plateau zieht es uns allerdings nicht. Zum Einen schrecken uns die Massen an Menschen ab und zum Anderen haben wir vom höchsten Punkt eine wunderbare Aussicht.
Auch wenn wir nur einen kleinen Einblick in das Hinterland Norwegens bekommen haben, steht fest: Der Roadtrip hat sich mehr als gelohnt und Norwegen sieht uns ganz bestimmt nicht zum Letzten mal!
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